Hoffnung aus dem Precuneus: Magnetstimulation zur Verlangsamung des kognitiven Abbaus bei Alzheimer
Die Suche nach wirksamen Therapien gegen die Alzheimer-Krankheit kommt seit Jahrzehnten nur langsam voran - umso spannender ist ein neuer Ansatz, der direkt an der funktionellen Architektur des Gehirns ansetzt: Die gezielte repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) des Precuneus. Eine in Brain publizierte randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie von Koch et al. (2022) untersuchte diesen vielversprechenden Therapieansatz.
Hintergrund: Warum der Precuneus?
Es ist bekannt, dass die Alzheimer-Krankheit mit einem frühen Funktionsverlust im so genannten Default Mode Network (DMN) einhergeht, einem Netzwerk, das unter anderem an Gedächtnisprozessen und Selbstreflexion beteiligt ist. Zentraler Knotenpunkt dieses Netzwerks ist der Precuneus, eine Region im medialen Scheitellappen. Frühe metabolische Verluste, struktureller Abbau und reduzierte Konnektivität im Precuneus wurden in mehreren Neuroimaging-Studien dokumentiert. Zudem ist die Region stark von der Tau-Pathologie betroffen.
Die Hypothese der Autoren: Wenn man genau hier - im Precuneus - mit rTMS ansetzt, könnte der kognitive Abbau verlangsamt werden.
Studiendesign: 24 Wochen gezielte Stimulation
An der Studie nahmen 50 Patientinnen und Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz teil. Sie erhielten entweder eine aktive rTMS-Stimulation des Precuneus oder eine Placebo-Stimulation (Sham), jeweils zusätzlich zur Standardtherapie mit Acetylcholinesterase-Hemmern. Die Behandlung erstreckte sich über sechs Monate: zunächst zwei Wochen tägliche Stimulation, dann 22 Wochen wöchentliche Sitzungen.
Primärer Endpunkt war die Veränderung im Clinical Dementia Rating - Sum of Boxes (CDR-SB), einem kombinierten Maß für kognitive und alltagspraktische Fähigkeiten. Sekundäre Endpunkte waren MMSE, ADAS-Cog und ADCS-ADL.
Ergebnisse: Stabilisierung statt Verschlechterung
Die wichtigsten Resultate in Kürze:
CDR-SB: In der rTMS-Gruppe blieb der Score über 24 Wochen stabil (−0.25 Punkte), während er in der Sham-Gruppe signifikant abfiel (−1.42 Punkte).
Responderrate: 68 % der rTMS-Patienten zeigten kaum eine Verschlechterung (≤1 Punkt CDR-SB), in der Sham-Gruppe nur 35 %.
Sekundäre Masse: Auch ADAS-Cog, MMSE und ADCS-ADL blieben in der Stimulationsgruppe deutlich stabiler.
Neurophysiologie: TMS-EEG zeigte, dass die kortikale Erregbarkeit im Precuneus in der rTMS-Gruppe erhalten blieb, während sie im Placebo-Arm abnahm. Zudem kam es in der rTMS-Gruppe zu einer Zunahme von Gamma-Oszillationen (31–48 Hz) – ein Marker für neuronale Synchronisation, die mit Gedächtnisleistung korreliert.
Interpretation: Mechanismus und klinische Relevanz
Die Autoren vermuten, dass die Stimulation des Precuneus über die Förderung der kortikalen Plastizität wirkt. Frühere Studien deuten darauf hin, dass rTMS unter anderem die Expression von BDNF erhöhen und entzündungshemmend wirken kann. Die erhöhte Gamma-Aktivität könnte auch mit einer verbesserten Mikroglia-Aktivierung und Amyloid-Clearance zusammenhängen - dies wurde bereits in Tiermodellen gezeigt.
Klinisch relevant ist, dass der Effekt auch ohne begleitendes kognitives Training erzielt wurde - ein Vorteil gegenüber anderen Studienansätzen.
Fazit: Schritt in eine neue therapeutische Ära?
Diese Studie liefert erste robuste Hinweise, dass die gezielte Stimulation des Precuneus den kognitiven und funktionellen Abbau bei Alzheimer verlangsamen kann - bei guter Verträglichkeit. Damit könnte sich die rTMS als komplementäre, nicht-pharmakologische Therapie etablieren.
Ob die Effekte über längere Zeiträume anhalten, welche Patienten besonders profitieren und wie sich die rTMS mit kognitivem Training kombinieren lässt, bleibt Gegenstand zukünftiger Forschung.
Koch G, et al. Precuneus magnetic stimulation for Alzheimer’s disease: a randomized, sham-controlled trial. Brain. 2022;145(11):3776–3786. https://doi.org/10.1093/brain/awac285